Grundlage des Pflegeverständnisses: Das Menschenbild
Zu Beginn ihrer Ausbildung lernen angehende Handwerker die berufstypischen Werkstoffe kennen:
Jeder Schreiner lernt etwas über das Holz, jeder Schlosser etwas über das Metall. Trotz der Vielzahl verschiedener Hölzer und Metalle gibt es allgemein gültige Aussagen über den jeweiligen Werkstoff: Holz arbeitet, Metalle leiten den elektrischen Strom
Auf die Pflegeausbildung kann dies nicht so einfach übertragen werden:
Der Mensch ist nicht mit einem Werkstoff zu vergleichen, und den Menschen gibt es nicht. Aber Pflegende arbeiten mit Menschen. Aus diesem Grund ist eine professionelle pflegerische Grundhaltung und Kenntnis um Menschen und deren Verhalten in Gesundheit und Krankheit erforderlich. Diese können durch die Diskussion verschiedener Menschenbilder erworben oder vertieft werden
Das individuelle Menschenbild:
Ein Mensch ist sich seiner selbst bewusst. Er hat das Bedürfnis, sich selbst zu begreifen und Antworten zu finden auf die Fragen nach:
• Geburt, Leben und Tod
• Glück, Freude, Gesundheit, aber auch Leid,
Schmerz und Krankheit
• Dem Sinn des Lebens
Das medizinisch-naturwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche und holistische Menschenbild:
Was sieht eine Pflegeperson, wenn sie zum Beispiel einem Patienten bei der Körperpflege behilflich ist?
• Denkt sie daran, dass die Haut als größtes Organ des Körpers „funktionieren” muss und wie sie durch die Körperpflege diese Funktionsfähigkeit erhalten oder gegebenenfalls wiederherstellen kann?
• Empfindet sie Schamgefühl, wenn sie den Menschen so hilflos und nackt vor sich liegen sieht?
• Achtet sie darauf, dass sie mit jeder Berührung bei ihrem Tun Kontakt mit dem Patienten aufnimmt und so eine Beziehung herstellt und unterhält?
• Findet sie - z.B. bei bewusstlosen Patienten - über die Stimulierung der Sinneszellen in der Haut Zugang zu der geistigen Aktivität des Patienten?
Das pflegewissenschaftliche Menschenbild:
Die natur-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Menschenbilder nehmen Einfluss auf die Pflege, indem sich die Pflege entweder direkt mit ihnen auseinandersetzt oder von den Erkenntnissen profitiert, auf denen diese Menschenbilder beruhen. Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften machen einen Teil der Pflege aus und werden dadurch zu Bezugswissenschaften der Pflege(-wissenschaft). Dies wird an folgenden Beispielen deutlich:
• Entwicklung eines ganzheitlichen Pflegeverständnisses. Ganzheitliche Pflege bezieht sich nicht nur auf den Körper des Menschen, sondern ebenso auf seine Psyche und sein soziales Umfeld
• Modifikation der Grundausbildung. Mit dem Krankenpflegegesetz von 1985 wurden insgesamt 100 Stunden der Fächer Psychologie, Soziologie und Pädagogik in den Ausbildungskatalog neu aufgenommen. Als Prüfungsfach in der mündlichen Prüfung gewinnen Psychologie, Soziologie und Rehabilitation (zusammen mit Sozialmedizin geprüft) zusätzliche Bedeutung
Das anthroposophisch orientierte Menschenbild:
Die anthroposophische Pflege geht von einem von Rudolf Steiner entwickelten Menschenbild aus. Mensch und Natur sind wesensverwandt, das heißt sie haben die gleiche Entwicklung durchlaufen. Man kann nach Steiner Mineral, Pflanze und Tier genauso erforschen wie den Menschen und die Ergebnisse auf ihn übertragen